“Infolge meiner Tätigkeit als Teehändler fuhr ich seit meinem Eintritt in das Bremer Teehaus Paul Schrader & Co 1962 regelmäßig in viele Teeanbaugebiete der Welt. Mein Favorit unter allen Tees war zweifellos immer der Darjeeling: Geschmacklich wie qualitativ wurde mir schnell klar, warum die Tees, die am Fuße des majestätischen Himalayas bis zu einer Höhe von 2000 m gedeihen, nicht nur die besten, sondern auch die teuersten weltweit sind. Dabei wird der »Champagner unter den Tees« nur auf dem kleinsten Anbaugebiet Indiens geerntet. Das Darjeeling-Hochtal bildet einen engen Korridor zwischen den Königreichen Nepal und Bhutan. Ihr Aromaspektrum reicht von fruchtig-frisch (first flush) bis zu vollblumig-aromatisch (second flush). Da im Darjeeling Tee fast nur in Hanglagen angebaut werden kann, erfolgt die Ernte ausschließlich in richtiger Handarbeit. Tausende von Pflückerinnen, die zum Teil extra zu Saisonarbeit in den Darjeeling-Distrikt kamen, ernten in den 87 Teegärten von jeder Pflanze jeweils »two leaves and a bud« (die ersten zwei Blätter und eine Knospe).
Ich lernte infolge meiner jährlichen Asienreisen viele Einheimische und dort lebende Europäer persönlich kennen und erwarb ein intensives Wissen über Land und Leute. Auf meinen Reisen zum Zentrum des bengalischen Teeanbaus im äußersten Norden Indiens fielen mir immer wieder die sehr bescheidenen Lebensverhältnisse der Einheimischen auf. Nicht nur deren Hütten waren meist in einem sehr schlechten Zustand, sondern auch Schulen und Krankenhäusern mangelte es an Allem. Anlässlich einer Reise im Spätsommer des Jahres 1985 fiel mir besonders das Dach einer Schule ins Auge, die sich neben einer von mir schon mehrfach besuchten Plantage befand. Nicht nur die Sonnenstrahlen und die Vögel genossen freien Zugang in die Klassenräume, sondern auch heftiger Regen setzte gelegentlich alles unter Wasser, so dass an eine regelmäßige Beschulung der Kinder oft nicht zu denken war. Achselzuckend bedauerte der indische Schuldirektor den unhaltbaren Zustand, aber weder die Gemeinde noch irgendjemand sonst war gewillt oder in der Lage, die ca. 25.000 DM aufzubringen, die benötigt wurden, um das Dach zu reparieren.
Ich war gerade in den Vorstand des Ostasiatischen Vereins (OAV) in Bremen gewählt worden, dem ich seit 1970 angehörte, und versuchte, das Geld für die Schule im Darjeeling zusammen zu bekommen. Der OAV, ein 1901 gegründeter Herren-Club, der die Erinnerungen an viele geschäftliche Aufenthalte in Ostasien pflegen wie auch die Verbindungen in diesen Teil der Welt nicht abreißen lassen wollte, erwies sich als ideale Adresse für diese Hilfsaktion; denn viele potente bremische Unternehmen und Privatpersonen stellen das Rückgrat der Vereinsmitglieder dar. Recht schnell kriegte ich die 25.000 DM zusammen und wollte diese nach Indien transferieren. Selbst für bremische Banken war das aber damals ein unbekanntes Terrain. Daher überlegte ich, wer mir in Bremen mit Rat und Tat helfen könnte. Da fiel mir das 1979 in Bremen gegründete Landesamt für Entwicklungszusammenarbeit in der Slevogtstraße und dessen Leiter Gunther Hilliges ein, der ja seit 1980 auch sehr stark hinter dem »Forum Städtesolidarität Bremen – Pune e.V.« stand. Da obige Behörde bzw. dieser in Bremen beheimatete Verein ja zahlreiche Projekte in Indien durchführen, mussten sie doch auch Geld in den indischen Halbkontinent transferieren können. Gesagt getan: Ich rief also am Donnerstag, dem 12. September, Gunther Hilliges an und fragte ihn, wie man am günstigsten Geld in den Darjeeling überweisen könne. Die Antwort fiel kurz und knapp aus: »Das ist doch kein Problem. Kommen Sie heute Abend einfach zur Vorstandssitzung von BORDA«.
Von BORDA hatte ich noch nie etwas gehört. Was sollte das denn für ein Verein sein? Herr Hilliges informierte mich über diesen kleinen Verein, der 1985 ganze 271.000 DM vor allem für die Ausbildung von Adivasi in Nagar, Flußpumpen- und Biogasprojekte in Mali, im Sudan und in Ruanda umsetzte. Der Vereinsvorsitzende, der Architekt Hans Budde, begrüßte mich in der Bibliothek des Übersee-Museums am Breitenweg, bei der BORDA einen Raum unterhielt. Bevor ich jedoch mein Anliegen vorbringen konnte, sollte tagesordnungsgemäß noch die Neuwahl des Vorstandes dieses gemeinnützigen bremischen Vereines erfolgen. Aber bei nur fünf anwesenden Vereinsmitgliedern war das nicht möglich; denn allein der Vorstand hatte sechs Ämter zu vergeben. Kurzum, die Überredungskunst des BORDA-Geschäftsführers Ulrich Reeps reichte aus, mich spontan sowohl zum Vereinsmitglied als auch zum Beisitzer im Vorstand zu küren. Dass ich zehn Jahre später Herrn Budde als Vorsitzenden beerben würde, hätte ich im September 1985 wohl kaum für möglich gehalten.
Das Dach in der Schule im Darjeeling konnte kurze Zeit später repariert werden, sodass eine Voraussetzung für einen ordentlichen Schulbetrieb sichergestellt werden konnte. Der Ostasiatische Verein hob später das »Hilfswerk Ostasien« aus der Taufe, um Spenden sinnvoll für Hilfszwecke einzusetzen und auch die Kontrolle inder Hand zu haben, dass die Mittel wirklich direkt zu den Empfängern gelangen.”